Eine Empfehlung von Norbert Wehr
WÜ
Suhrkamp, Berlin 2024, 173 Seiten, 24 Euro.
Ein Gedicht sei erst dann ein Gedicht für ihn, wenn er die gewöhnlichsten Dinge darin auf das Heftigste irritiere, hat Thomas Kunst mal seine Poetologie charakterisiert. Dass er eine widerspenstige, übermütige, verrückte Phantasie besitzt, stellt er auch in seinem neuen Band unter Beweis. Eine Phantasie, die nicht gezähmt, sondern entzündet wird durch strenge, virtuos beherrschte Formen, durch eine zwingende Komposition des Gesamtbands (sechs Kapitel mit je 15 Gedichten, wobei das 15. Gedicht, ähnlich wie im Sonettenkranz, ein sogenanntes Meister-Gedicht ist, adressiert an Kunsts Katze Wü) und durch Sonette, 31-silbige Tankas sowie Kurz- und Langgedichte, deren Zeilen immer kürzer werden und die am Ende, in der Schlusszeile, »spitz« auf ein einzelnes Wort zulaufen – eine eigenwillige Kunst-Erfindung. »Meine liebe Wü, ich bin so barbarisch müde, wären / Wir nur endlich wieder von elementarer Dichtung / Umgeben …«, heißt es in einem der Meister-Gedichte … Voilà, hier ist sie zu bestaunen: Thomas Kunst schreibt sie selbst, eine Dichtung von elementarer, wilder Kraft.