Ágnes Nemes Nagy: Mein Hirn: ein See

Eine Empfehlung von Nico Bleutge

Ágnes Nemes Nagy
Mein Hirn: ein See

Ungarisch – Deutsch. Herausgegeben und übersetzt von Christian Filips und Orsolya Kalász. roughbooks, Schupfart 2022. 226 Seiten, 18 Euro

Für Ágnes Nemes Nagy war das Gedicht ein Forschungsweg. Jedes Ding und jede Empfindung hat einen bekannten und einen unbekannten Anteil. Wir kennen Begriffe wie »Haus«, »Liebe«, »Zorn« oder »Mitleid«. Aber die Dichterin kann das Namenlose aus den Momenten filtern. Das noch Unbekannte, das uns beim Lesen und Hören berührt und sogar trösten mag, war für Nemes Nagy das eigentliche Kraftzentrum des Gedichts. Kabeldrähte, Reifen, Farne, Mücken und immer wieder Bäume – den Phänomenen lauschte und fühlte und dachte sie ihre Essenz ab: »Ein Baum knackt, summt vor Hitze. / Durch den harzigen, halb- borkenlosen / Stamm, gewaltig, schießt jetzt / ein Steinzeit-Telegramm.« Für diese pulsierenden Telegramme haben Orsolya Kalász und Christian Filips in ihrer Übersetzung immer wieder grandiose Entsprechungen gefunden. Sie treffen den liedhaften Ton vieler Verse genauso wie die schrägen Reime oder manch weit verzweigten Satz. Lesend spürt man die Atmosphäre aus Euphorie und Angst und Widerstand, in der alles in Bewegung ist, »wie ein Wespennest in die Erde, / so wächst die Welt in mich hinein«.

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