Norbert Lange: Unter Orangen

Eine Empfehlung von Norbert Wehr

Norbert Lange
Unter Orangen

Das Wunderhorn, Heidelberg 2021, 125 Seiten, 20 Euro

Er hat einen Kurzauftritt in Alfred Hitchcocks Vertigo, der amerikanische Dichter Jack Spicer, der 1965 im Alter von 40 Jahren starb. Mehr als 50 Jahre später kehrt er aus dem Totenreich zurück, trifft in San Francisco den deutschen Dichter Norbert Lange – und ergreift Besitz von ihm (so wie, angeblich, in Hitchcocks Film die tote Carlotta Valdes von ihrer Urenkelin Madeleine Elster). Das Ergebnis ist ein Schwindel erregender Gedichtband in drei Kapiteln: Im ersten »transkreiert« Lange Spicers tragische Orpheus-Gedichte (mit Referenzen u. a. an Jean Cocteaus Orphée), im zweiten, einem epischen Langgedicht, lässt er wunderliche, verschrobene Orpheus-Personifikationen zu Wort kommen (genannt: »Orangen«; bei Spicer: »Zitronen«), und im dritten erhält er Briefe von Spicer, Briefe über das Leben mit Gedichten und Dichtern, die u. a. angeregt sind von After Lorca, einem Fake-Buch Spicers mit erfundenen Lorca- Gedichten ... Unter Orangen ist ein raffinierter Bluff (wie der Bluff in Vertigo), ein gelehrtes, rätselhaftes Buch, eine erkenntnisreiche Poetologie – und nicht zuletzt die Auferstehung eines hierzulande unbekannten Dichters.

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