Maria Stepanova: Der Körper kehrt wieder

Eine Empfehlung von Joachim Sartorius

Maria Stepanova
Der Körper kehrt wieder

Russisch – Deutsch. Übersetzt von Olga Radetzkaja. Suhrkamp, Berlin 2020, 138 Seiten, 22 Euro.

Maria Stepanova, 1972 in Moskau geboren, lässt ihrem Erinnerungsbuch Nach dem Gedächtnis, das sie hierzulande bekannt machte, nun einen Band mit drei Texten in der Tradition des russischen Langgedichts folgen. Sie vergegenwärtigen nicht nur beklemmende Aspekte der neueren Geschichte Russlands, sie halten auch die Poesie hoch, laut dem Titelgedicht die Heldin, »ein absurdes vieläugiges Wesen mit vielen Mündern«. Wie Joseph Brodsky in seiner grandiosen Schnee-Elegie John Donne anruft, wendet sich Stepanova an Anne Carson, an Inger Christensen und weitere Dichterinnen, ohne sie beim Namen zu nennen, doch in deutlichen Bezügen. Immer wieder überrascht sie mit kühnen Bildern. So kommt einmal die Seele angelaufen wie ein Hund, senkt ihren Kopf, prüft ihren Behälter: »Rollt sich drinnen ein, in Mulm und müdem Samt, / Streicht außen über Lederdeckel. / Siehe (...) Wie Fische auf der Ladentheke // sortiert sie deine Muskeln und Glieder.« Olga Radetzkaja hat diese weit ausholenden Gebilde, mit ihren Anklängen an Psalmen, Volksliedern, aber auch Ready mades aus der russischen Jetztzeit, fabelhaft übersetzt, mit genauestem Gespür für Metrik, Tonwechsel, Reim und assoziative Schwingungen.

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