Eine Empfehlung von Marion Poschmann
Wilde Tiere
Aus dem Lettischen übersetzt von Adrian Kasnitz. parasitenpresse, Köln 2020, 75 Seiten, 12 Euro.
Diese Gedichte erklingen vom Rand her, aus der Provinz, dem Kaff, aus einem der kleinsten Länder Europas, aus einem Land mit stetig sinkender Einwohnerzahl. Es sind Orte gezeichnet, an denen definitiv nichts los ist, Orte der Isolation, der Einsamkeit, der Melancholie. Nun ist die Randständigkeit häufig ein Merkmal des Dichters, weil es gewöhnlich nicht allzu viele Leute gibt, die sein Tun relevant finden, geschweige denn nützlich. Krišjānis Zeļģis gewinnt dieser Situierung eine anmutige Traurigkeit und Coolness ab, und die Erkenntnis der eigenen Lage am Rand des Geschehens erweckt Verständnis, ja Mitgefühl für andere Kreaturen, denen es ähnlich ergeht, seien es Bekannte, Passanten oder die titelgebenden »wilden Tiere«. Die Verbrüderung mit den Erniedrigten und Beleidigten im Postsozialismus führt zu einer kritischen Sicht auf die soziale Lage, aber auch zu einer anrührenden Rücksicht im menschlichen Umgang. Eine lakonische Sprache, die nicht viel Aufhebens macht, dafür umso genauer ist, umso überraschender, umso schöner.