Francis Ponge: Le Soleil / Die Sonne

Eine Empfehlung von Michael Krüger

Francis Ponge
Le Soleil / Die Sonne

Französisch – Deutsch. Herausgegeben, übersetzt und kommentiert von Thomas Schestag. Matthes & Seitz, Berlin 2020, 883 Seiten, 98 Euro.

Wie entsteht ein Gedicht? Bei den Gelegenheitsgedichten ist es der Einfall, der zählt, der inspirierte Moment setzt etwas in Gang, an dessen Ende dann ein Gedicht steht. Goethe wollte 80 Prozent seiner Gedichte diesem Muster zuschlagen. Aber es gibt auch einen anderen Prozess der Entstehung, der Unmengen von Papier, Zeit, Durchhaltevermögen verbraucht, von anderen Eigenschaften abgesehen. Einen solchen Prozess kann man »verfolgen« oder auch studieren in dem fast 900-seitigen Buch, besser: Wunderwerk, das Thomas Schestak dem Poem Le Soleil / Die Sonne von Francis Ponge (1899–1988) gewidmet und dem der Verlag Matthes & Seitz das richtige Kleid verpasst hat. 1920 hat Ponge begonnen, sich auf seine Weise mit der Sonne zu beschäftigen, 1954 ist der Band Le Soleil placé en abîme (Die Sonne versetzt in den Abgrund) erschienen. Schestag präsentiert alle flüchtigen Entwürfe, Notizen, Überschreibungen, Streichungen, Zusätze und Abweichungen aus den 23 Kladden des Dossiers Le Soleil mit Übersetzungen – und am Ende den Text selber, der aus Ponges eigener Sicht ein Fragment blieb, denn, so sagt er selbst: »Der Vollkommenheit, der es an nichts mangelt, fehlt zur Vollkommenheit der Mangel an Vollkommenheit.« – Ein unauslesbares Buch!

Weitere Informationen