Eine Empfehlung von Uljana Wolf
Tote Frauen
Aus dem Ungarischen übersetzt von Orsolya Kalász und Eva Zador. KLAK, Berlin 2020, 145 Seiten, 15 Euro.
»Das Meer ist voll mit Glasscherben. / Das Licht schneidet mich beim Schwimmen.« Wie ein antikes Heldinnenepos, aber in der Traumaschleuder tausendfach zersplittert. Der Gedichtband Tote Frauen der hierzulande noch unbekannten ungarischen Lyrikerin und Dramatikerin Anna Terék verknüpft bildgewaltige Sprache mit dem Gespür der Dramatikerin für Stimmen und Tableaus. Die Gedichte lassen fünf Frauen in knappen Splittern von ihren Leben und Körpern erzählen. Miteinander verwoben, versehrt von Krieg und Verlust, von der zirkulierenden Gewalt ihrer Väter, Ehemänner, Soldaten, Söhne. »Es heißt, der Vater sei / für das Kind eine Brücke / in die Außenwelt, / ein Weg aus jener tiefen, schwarzen Magengrube, / zu der die Mütter / die Familie machen«, sagt eine Frau mit verschwundenem Vater. Bekäme sie einen Sohn, würde sie ihn verschlingen, um »auch diese letzte, schwankende Brücke zu versenken«. Vielleicht sind diese Gedichte Protokolle aus der dunklen Magengrube, zu der die Welt die Frauen macht. Vielleicht sind sie Aussprachen – neue Brückenköpfe in die Welt, jenseits toxischer Gewalt. In jedem Fall eine Entdeckung, die lange nachwirkt, auch dank der virtuosen Übertragung von Eva Zador und der Lyrikerin Orsolya Kalász.