Eine Empfehlung von Michael Krüger
Berlin Hamlet
Aus dem Ungarischen übersetzt und mit einem Nachwort von Heike Flemming. Suhrkamp, Berlin 2019, 201 Seiten, 24 Euro.
»Die Erfahrung der Kunst zerstört oder, zurückhaltender formuliert, hebt die Mythen von Wissenschaft, Modernität und Fortschritt auf, versieht sie mit Fragezeichen.« Selbstbewusst nimmt der ungarische Dichter und Denker Szilárd Borbély, der sich 2014 das Leben nahm, seinen Platz in der Kette derer ein, die Poesie als bewusste Fortsetzung einer uralten Welt- und Seelenerkundung verstehen. Zwei Zyklen hat Heike Flemming übersetzt und herausgegeben, die Borbélys poetische und intellektuelle Kraft zeigen: Berlin Hamlet nimmt berühmte Berlin-Texte auf, von Kafka bis Walter Benjamin, und beleuchtet die Streifzüge des Dichters durch Berlin: »Reisen macht einsam, / sagen die, die heimkehren können zu denen / die sie lieben. Ich habe kein Zuhause, / ich tausche die Stationen meines Wanderns gegen Worte.« Der zweite Zyklus verdankt seine Entstehung einem Gewaltverbrechen, dem die Eltern des Dichters im Jahr 2000 zum Opfer fielen. Borbély widerstand der Versuchung, nun eine Art ›Erklärung‹ dieser unbegreiflichen Tat zu geben. Stattdessen schrieb er ein Triptychon über den Tod, das in seiner Eindringlichkeit einmalig ist: »Denn des Menschen Leben ist ein einziges / Stossgebet, das Gottes Ohr sucht.« Ein Buch, mit dem man nicht an ein Ende kommt.
Weitere Informationen: Suhrkamp Verlag