Søren Ulrik Thomsen: Rystet spejl / Zitterspiegel

Eine Empfehlung von Michael Krüger

Søren Ulrik Thomsen
Rystet spejl / Zitterspiegel

Kleinheinrich, Münster 2016, 100 Seiten, 30 Euro.

Aus dem Dänischen von Klaus-Jürgen Liedtke.

Wenn der überragende Dichter eines Landes stirbt, stehen alle anderen Dichter um ihn herum für eine Weile im Schatten. So hat es nach dem Tod von Seferis, Elytis oder Ritsos bis heute kein griechischer Dichter geschafft, die literarische Öffentlichkeit auf horchen zu lassen. Ähnlich war es beim Tod von Inger Christensen, der formbewussten, sprachverliebten, naiven und blitzgescheiten Dichterin aus Kopenhagen. Kann es in dem kleinen Dänemark zwei bedeutende Dichter geben? Ja, gewiss doch! Der für sein »nordisches Fingerspitzengefühl« bekannte Verlag Kleinheinrich in Münster hat jetzt schon den zweiten Band mit Gedichten von Søren Ulrik Thomsen herausgegeben: Rystet spejl / Zitterspiegel, einfühlsam übersetzt von Klaus-Jürgen Liedtke. Dieser Band ist deshalb so bemerkenswert und im altmodischen Sinne schön, weil in seinem klaren Spiegel das durcheinandergeratene Leben des Dichters zur Sprache kommt – auf eine so wundersame Weise, wie sie nur ein Großer zuwege bringt. Er bedenkt die Selbstverständlichkeit da zu sein und die Seltsamkeit, nicht tot zu sein. Und wie alle begnadeten Melancholiker hat er einen Sinn für Humor. Eines der schönsten und tiefsten Gedichte ist auch das kürzeste: »Geliebte, möge unsere Liebe immer sein / wie Musik aus einem anderen Zimmer. / Im Waldorf- Astoria. Bei Regen.«

Søren Ulrik Thomsen, geboren 1956, lebt in Kopenhagen. Er ist einer der bedeutendsten Dichter Dänemarks.

Weitere Informationen: Kleinheinrich