Silke Scheuermann: Skizze vom Gras

Eine Empfehlung von Michael Braun

Silke Scheuermann
Skizze vom Gras

Schöffling & Co, Frankfurt a. M. 2014, 104 Seiten.

Die einsamste Figur in Silke Scheuermanns Gedichtbuch »Skizze vom Gras« ist das hochmütige »Mädchen im Spiegel«. Referenzpunkt für dieses Gemäldegedicht ist ein Bild des ukrainischen Malers Wladimir Lukianowitsch von Zabotin aus dem Jahr 1922. Auf einer Frisierkommode sind auf diesem Bild geheimnisvolle Dinge drapiert: ein Handschuh, eine Schmuckfeder, eine Schachtel Zündhölzer. Im Zentrum des Bildes ein an zwei Metallstreben befestigter Spiegel – und darin das Gesicht eines eitlen Mädchens, der Körper wirkt wie abgeschnitten. Ein Mädchen, so scheint es, das für ein Fehlverhalten bestraft wird mit dem Entzug des Körpers. Silke Scheuermann hat daraus die skeptische Metaphysik ihres aufregenden Lyrikbands destilliert: »Als Kind schaute ich / mit der Wachsamkeit eines Geschöpfes in den Spiegel, / das ständig vom Verschwinden bedroht ist.« In Skizze vom Gras finden wir einige der finstersten Gedichte über die Liebe als aussichtsloses Unternehmen, die seit den späten Verzweiflungspoemen Ingeborg Bachmanns geschrieben worden sind.